Zurück in der Spur – eine Erfolgsgeschichte

Das Grüne Zimmer ist in der Tagesstätte Wolfsburg für Einzelgespräche reserviert. Hier hat sich Leiterin Silvia Kösters (links) oft mit Hildegard R. getroffen und sie schrittweise wieder zu einer selbstbewussten, kreativen Frau gemacht. Foto: Regio-Press

 

Zurück in der Spur – eine Erfolgsgeschichte

Das Hilfesystem hatte Hildegard R. schon aufgegeben, doch dann stieß sie auf die Lavie-Tagesstätte.

 

Von Frank Wöstmann

Wolfsburg. Wenn man Silvia Kösters nach einer besonderen Erfolgsgeschichte aus der Tagesstätte Wolfsburg fragt, fällt ihr sofort Hildegard R. ein. Die hatte bis zu ihrem 39. Lebensjahr zuverlässig als Kinderkrankenschwester in Hamburg und Wolfsburg gearbeitet – doch nach einem Arbeitsunfall war plötzlich nichts mehr so wie vorher.

„Ich litt unter einer post-traumatischen Belastungsstörung mit anschließender Depression“, erzählt die Betroffene selbst. Körperlich und psychisch ging es ihr damals immer schlechter. „Allein zwei Jahre war ich durchgängig in einer psychiatrischen Klinik“, berichtet die heute 58-Jährige.

Doch 2012 stieß sie zufällig auf die Tagesstätte, die von der Lavie Reha gGmbH für psychisch Kranke in der Poststraße 38a betrieben wird. „Wir bieten unseren Teilnehmenden von Montag bis Freitag zwischen 8 und 15 Uhr eine ambulante Tagesstruktur“, erklärt Silvia Kösters. Die Sozialpädagogin leitet die Einrichtung, außerdem gehören Erzieher Martin Heike sowie Ergotherapeutin Denise Ploch zum Team.

Auch Hildegard R. fand dort eine wichtige Anlaufstelle. „Hier hat mein Leben neu begonnen.“ Nach dem Erstgespräch vor Ort und der Zusage der Eingliederungshilfe wurde in der persönlichen Zielplanung der individuelle Hilfebedarf festgestellt und das passende Leistungsangebot angepasst. „Danach haben wir ganz von vorn angefangen.“

Schnell stellten die Experten fest, dass die damals 46-Jährige durchaus über Potenzial und Ressourcen verfügte – nicht zuletzt durch ihre Ausbildung zur Krankenschwester hatte sie ein gewisses Gefühl für ihre Lage. „Es war aber alles ziemlich verschüttet bei mir.“

Silvia Kösters wird noch etwas deutlicher: „Das Hilfesystem hatte sie bereits aufgegeben. Medikamention, Therapie und Klinik erlangten nicht den erwarteten Erfolg.“ Hildegard R. wurde als ,austherapiert‘ behandelt und in einem Pflege- und Altenheim untergebracht. Doch eine tagesstrukturierende Maßnahme zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung und Teilhabe, wie die Tagesstätte, war das passende unterstützende Hilfesystem. „Wir mussten Zugang zu Hildegard finden und eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Langsam ihre Selbstheilungskräfte und Selbstbestimmung aktivieren. Sie musste ihre verborgenen Talente und ihre neue Rolle wiederentdecken.“ Das gelang durch professionelle Unterstützung und Ausarbeitung ihrer persönlichen Ziele auf Augenhöhe sowie die Förderung der psychischen Stabilität, verschiedener Angebote zur Teilhabe und sozialen Wiedereingliederung. „Die berufliche Wiedereingliederung war zu diesem Zeitpunkt kein Zielplanungsinhalt.“

Das gelang. Die ehemalige Krankenschwester tastete sich vorsichtig heran an neue Belastungsgrenzen. „Das hat lange gedauert und war harte Arbeit“, sagt sie rückblickend. Doch am Ende nahm sie eine Position in der Gruppe ein, die von hoher Wertschätzung geprägt war. „Sie hatte zuletzt eine wichtige Funktion in unserer Tagesstätte“, schildert Silvia Kösters. „Für die anderen war sie Schwester, Mutter, Oma, Tante, je nachdem – und alle haben voneinander profitiert, Jung und Alt.“

Vor einigen Monaten verließ Hildegard R. Wolfsburg, zog nach Springe und nahm die anstrengende Zugfahrt auf sich. Ihre Maßnahme Tagesstätte wurde nun beendet, aber sie kommt stets vorbei, wenn sie monatlich ihre Therapeutin aufsucht. „Ich habe hier eine wichtige Zeit erlebt, in der mir sehr geholfen wurde“, betont sie. Eine Anlaufstelle zu haben und die Verpflichtung, morgens aufzustehen und hinzugehen, „fast wie an einen Arbeitsplatz“: Diese Rahmenbedingungen habe sie wieder zurückgebracht in die Spur. „Es ist gut, dass es solche Einrichtungen gibt.“

Gleichwohl ist die Tagesstätte eine verpflichtende Maßnahme, in der natürlich individuelle Vereinbarungen Berücksichtigung finden, betont deren Leiterin. „Aus unserer Fürsorgepflicht heraus informieren wir uns oder aktivieren das bestehende unterstützende Hilfesystem, wenn jemand nicht erscheint“, so die Bereichsleitung der Tagesstätte.

Die Teilnehmenden finden eine Fülle von Angeboten, an denen sie sich ausprobieren und schließlich auch wachsen und entwickeln können. Zum Beispiel durch Sozialkompetenzgruppen, psychoedukative Trainingsgruppen, Gesprächsgruppen, Projektgruppen, Workshops, Sport, Malen, Ergotherapie, Gedächtnistraining, Yoga und nicht zuletzt das gemeinsame Kochen: Die 21 Plätze bieten für jede Lebenslage etwas.

Auch Pflichten spielen auf dem Weg in die Normalität eine große Rolle. Es gibt Dienste und Ämter für die Gemeinschaft und wöchentliche Reflexionsgespräche. „Jeder hat eine Bezugsbegleitung aus dem multiprofessionellen, berufserfahrenem Team, mit dem jedes Quartal eine Zielplanung erarbeitet oder fortgeschrieben wird“, schildert Silvia Kösters. „Wir finden stets klare, motivierende Worte.“

Die Herausforderung findet sich in der heterogenen Gruppe. „Unser Ziel ist neben der Klinikvermeidung die größtmögliche Normalität, die soziale Wiedereingliederung, optimal die individuelle berufliche Perspektive abzuklären und eventuell eine berufliche Wiedereingliederung zu erreichen.“ Auf dem Weg dahin werde viel gelacht und auch Blödsinn gemacht – „auf keinen Fall geht es den ganzen Tag nur um Krankheit.“ Im Grunde werde jeder Teilnehmende dort abgeholt, wo er steht. Eigentlich erstaunlich, dass es derzeit einige freie Plätze in der Tagesstätte an der Poststraße gibt.

Die Eingliederung von Hildegard R. jedenfalls ist geglückt, sie lebt jetzt als Rentnerin in der Nähe ihrer Familie. „Ich schaue gern in der Tagesstätte vorbei“, sagt sie und lächelt. „Es ist ein Besuch bei Freunden.“

Kontakt: www.lavie-reha.de, Telefon: Silvia Kösters 05361/55 70-65, per Mail [email protected].

Unangemeldete Besuche mit Begleitpersonen sind jeden ersten Donnerstag im Monat zur Informationsveranstaltung von 10 bis 11 Uhr in der Tagesstätte möglich: Poststraße 38a, 38440 Wolfsburg.

 


 

Die Tagesbetreuung bietet:

  • strukturierte Tagesgestaltung
  • Kontakte zu anderen Menschen
  • Förderung der psychischen Stabilität
  • Wochenplan mit Einzel- und Gruppenangeboten
  • Teilhabe an gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen
  • Ausarbeitung der persönlichen Ziele
  • Erprobung, Förderung und gegebenenfalls Steigerung der Belastbarkeit, Ausdauer und Konzentration
  • Training alltags-, sozialpraktischer und hauswirtschaftlicher Tätigkeiten
  • Training der Grundarbeitsfähigkeiten
  • Erweiterung der Kompetenzen
  • Überleitung zu medizinischer und beruflicher Reha oder anderen weiterführenden Maßnahmen

 


 

April 23, 2024